Hilde Domin: Nur eine Rose als Stütze

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> Hilde Domin
> Nur eine Rose als Stütze
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> Ich richte mir ein Zimmer ein in der Luft
> unter den Akrobaten und Vögeln:
> mein Bett auf dem Trapez des Gefühls
> wie ein Nest im Wind
> auf der äußersten Spitze des Zweigs.
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> Ich kaufe mir eine Decke aus der zartesten Wolle
> der sanftgescheitelten Schafe die
> im Mondlicht
> wie schimmernde Wolken
> über die feste Erde ziehen.
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> Ich schließe die Augen und hülle mich ein
> in das Vlies der verläßlichen Tiere.
> Ich will den Sand unter den kleinen Hufen spüren
> und das Klicken des Riegels hören,
> der die Stalltür am Abend schließt.
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> Aber ich liege in Vogelfedern, hoch ins Leere gewiegt.
> Mir schwindelt. Ich schlafe nicht ein.
> Meine Hand
> greift nach einem Halt und findet
> nur eine Rose als Stütze.
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heute ist ihr zwölfter todestag