Immer mehr Forschung ... (2007)

aus 2007. aber immer noch lesenswert. k.


On 11/24/07, Contraste e.V. <CONTRASTE@t-online.de> wrote:
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> -------- Original-Nachricht --------
> Betreff: FW: [TP] Immer mehr Forschung zur "Verbesserung" des Menschen
> / Neuer Telepolis-Blog "Uebermensch"
> Datum: Sat, 24 Nov 2007 21:37:54 +0100
> Von: #DNR Redaktionsbüro Fachverteiler <info-berlin@dnr.de>
> An: <info-berlin@dnr.de>
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> http://www.heise.de/tp/r4/artikel/26/26655/1.html
>
> TELEPOLIS
>
> Projekt Übermensch: Upgrade ins Nirvana
>
> Jörg Auf dem Hövel 21.11.2007
> Robotik, Neuro-Implantate, Hirn-Enhancement, Gentechnik: Wohin führt das?
>
> Zwang und Lust an Vervollkommnung der eigenen Person sind uralt, evolutionär
> zunächst dem Überleben dienend wurde Erkenntnis zum Kulturgut. Schon die
> frühen Werkzeuge erweiterten den allgemeinen Handlungsraum des Menschen.
> Interessant wurde es immer dann, wenn die Werkzeuge inkorporiert wurden,
> denn dann stand Integrität und Wesensnatur auf dem Spiel.
>
> Krücke, Holzbein und Brille sind frühe Prothesen, ihre Linie verlängert sich
> bis zu den chipgesteuerten Hochleistungsprothesen bei den heutigen
> Paralympics. Früher waren Prothesen und Implantate schlechter Ersatz, nun
> ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis eine Prothese oder ein Implantat
> zum Ausschluss eines Sportlers bei einem Wettbewerb führen wird ( Wann ist
> ein Mann ein Mann? (1)). Der rasante technische Fortschritt, Rechenkapazität
> gepaart mit Miniaturisierung, ermöglichen den Einzug der Technik in den
> Körper. Ein wunderbares Beispiel dafür, vor welchen Aufgaben die Sportethik
> zukünftig stehen wird.
>
> Cochlea-Implantate übernehmen das Ohr, andere zentrale Funktionen des
> Körpers werden folgen. Teile der KI-Gemeinde träumen schon jetzt von der
> Übernahme höherer kognitiver Funktionen. Aber der Künstlichen Intelligenz
> sind über die Jahre die Grenzen ihres Ansatzes vor Augen geführt worden. Das
> hält die Apologeten des vollständigen Nachbaus des Menschen nicht davon ab,
> in unregelmäßigen Abständen den Durchbruch zu verkünden. In den letzten
> Jahren ist es still geworden um Minsky, Moravec und Kurzweil, dafür durfte
> Aubrey de Grey ran und die Heilung des Alterns voraussagen. Man kann sich
> über die Propheten lustig machen, sie sind allerdings nur die
> Randerscheinung einer umfassenden Geistesströmung, welche die Fähigkeiten
> des Menschen technisch erweitern will.
>
> Die Rolle der in menschenähnlichen Maschinen verkörperten Künstlichen
> Intelligenz dürfte dabei klein bleiben. In eng umrissenen Welten wie
> beispielsweise Schachbrettern ist die KI stark, sobald sie in reale
> Unwägbarkeiten geworfen wird, zeigt sich die Schwäche der reinen Berechnung.
> Die Siliziumknechte tummeln sich zur Zeit auf Miniatur-Fußballplätzen oder
> auf vier Rädern in der Wüste und haben frappante Probleme, sich autonom zu
> orientieren, anzukommen, geschweige denn auch noch sinnig zu handeln.
>
> Dort wo KI zum Posthumanismus wird, ist die Schwelle zum
> Erlösungsversprechen übertreten. Ob Reinraum des Cyberspace oder Upgrade
> eines Androiden mit kompletthumaner Software: Im Kern geht es um den
> Übergang des menschlichen Wesens in eine neue Seinsform. Logischerweise
> fließt in diesem Siliziumparadies nur klares Wasser die Flüsse hinunter und
> alle Frauen haben Körbchengröße G.
>
> Neuro-Enhancement
>
> Weitere Techniken weisen über den Menschen hinaus: Magnetisches und
> medikamentöses Enhancement der Denkvorgänge und natürlich die Gentechnik.
> Die Doping-Diskussion ist momentan noch primär an körperlich
> leistungssteigernden Substanzen wie EPO festgemacht, dabei leben Teile der
> Gesellschaft in einem dauergedopten Zustand. Morgens Koffein, Abends das
> Entspannungsbierchen, am Wochenende ein Näschen. Für die Verzweifelten
> Prozac, für die Willigen Viagra, für die Gestressten Diazepam.
>
> Das spirituelle Doping des Geistes fristet ein Schattendasein in der Ecke
> der Drogenpolitik. Diese wird mittlerweile ohnehin von den Pharma-Konzernen
> effektiver betrieben. Indikationen lassen sich immer finden, das Geld kommt
> mit dem Off-Label-Use rein. Die Diskussion um Neuro-Enhancement mittels
> neuer, legaler Wirkstoffe ist bereits in Gang, aber in den Pipelines der
> pharmazeutischen Firmen ist kein Wundermittel mit Namen "Nürnberger
> Trichter" in Sicht.
>
> Allerdings werden die Grundlagen des Lernens immer besser ergründet, die
> Erforschung der Alzheimer-Demenz zeigt die neuronalen Bedingungen des
> Denkens auf, hier lastet Leistungsdruck auf den Arzneimittelforschern. Weil
> zudem hohe Gewinne locken, ist damit zu rechnen, dass bessere Wirkstoffe
> entwickelt werden, die zumindest die Degeneration aufhalten. Ob dies in
> gesunden Menschen zu einer Leistungssteigerung des Denkorgans führt, steht
> auf einem anderen Blatt.
>
> Genbasierte Designer-Medikamente
>
> Rund zehn Prozent aller Medikamente auf dem Markt sind mit Hilfe
> gentechnischer Verfahren hergestellt worden - Tendenz steigend. Im Gegensatz
> zur grünen Gentechnik ist dieser Bereich der roten Gentechnik weithin
> akzeptiert. Das Einbringen eines fremden Gens in einen Organismus, um diesen
> zur Expression eines bestimmten Wirkstoffs zu bringen, ist die eine Sache,
> das Einbringen von fremden Genen in den menschlichen Organismus eine andere.
>
> Aus Sicht einiger Mediziner ist diese "Gentherapie" nur die logische
> Fortsetzung der Produktion von gentechnischen Arzneimitteln. Hierbei würde
> beispielsweise ein Patient mit einer Enzym-Mangelkrankheit keine Medikamente
> mehr einnehmen, sondern einige seiner Körperzellen würden gentechnisch so
> verändert werden, dass er das fehlende Enzym selbst bildet.
>
> Bei der erblichen Immunschwäche SCID-X wurde das schon versucht, doch es
> trat als Nebenwirkung Leukämie auf. Die Mediziner hatten das Enzym-Gen an
> einer falschen Stelle ins Erbgut der schwerkranken Probanden eingefügt.
> Gentherapeutisch behandeln tat man auch zwei Männer in Frankfurt am Main.
> Dort wurde 2005 den zwei schwerkranken Patienten blutbildende, gentechnisch
> veränderte Stammzellen injiziert ( Tückische Gentherapie? (2)). Der Erfolg
> ist bis heute umstritten, die Langzeitwirkung auf die körpereigenen Zellen
> unklar.
>
> Wissenschaftler wie der Humangenom-Pionier Francis Collins, der das "Human
> Genome Project" zur Entschlüsselung des menschlichen Genoms leitete, sehen
> gleichwohl optimistisch in die Zukunft. Er sagt voraus, dass bis 2020
> genbasierte Designer-Medikamente für Bluthochdruck, Diabetes und andere der
> sogenannten "Volkskrankheiten" verfügbar sein werden.
>
> An dieser Stelle kann der Raum betreten werden, in dem die Zukunftsmusik
> spielt. Vorstellbar sind zukünftig beispielsweise Gentherapien, die auf die
> Nachkommen des Patienten vererbt werden. Noch verwehren sich die Mediziner
> gegen solche Ideen. Und noch geht es nur um ein Stück vom Leben für
> schwerkranke Menschen.
>
> Der Übermensch des 21. Jahrhunderts
>
> Schon immer gab es Bemühungen, sich mit Hilfe der Errungenschaften der
> Medizin nicht nur zu therapieren, sondern auch über den normalen Zustand
> hinaus zu optimieren. An dieser Stelle setzt Enhancement an, die Erweiterung
> der Basisfunktion.
>
> Dieses Über-sich-Hinauswachsen, der Versuch der Vervollkommnung, die Lust,
> schier Übermenschliches zu leisten, ist Triebkraft der Menschheit bis heute;
> mit allen kreativen wie zerstörerischen Konsequenzen. Mit ironischer
> Konnotation kann man von einer sozialen Bewegung der "Übermenschen"
> sprechen.
>
> Aber der Übermensch ist nicht nur einer, der über sich hinaus wachsen will.
> Nach Friedrich Nietzsche will der Übermensch die Kräfte des heiligen Chaos
> in das Diesseits bringen. Alle Gefühlsspitzen und Erweckungen, aber auch die
> bis dato ins Jenseits gerichteten Ekstasen und Hoffnungen auf Erlösung
> sollen zurück auf die Erde gebracht werden.
>
> Während Nietzsches Übermensch die Religion in sich wieder finden will, hat
> der Übermensch des 21. Jahrhunderts sie in den Raum technischer Potentiale
> zurück verfrachtet. Gründe dafür gibt es genug: Der Fortschritt wurschtelt
> sich in die letzten Fasern des molekularen Daseins hinein, alles scheint
> erklärbar, wenn nicht heute, so doch morgen. In diesem Sinne ist
> Wissenschaft zur Quasi-Religion geworden. Das über sich hinaus wachsen ist
> heute technisch banalisiert, die Aufgehobenheit im heiligen Chaos, dem
> geistigen Urgrund aller Religionen vor ihrer unheilvollen
> Institutionalisierung, ist heute eher durch den Cyberspace erwünscht als
> durch religiöse Praktiken.
>
> Nietzsches Übermensch war ein entscheidendes Stück weiter gegangen. Erst in
> der Transzendierung des arbeitsorientierten, technisierten Welt findet der
> Mensch seine wahre Bestimmung: Ein hingebungsvolles Leben als Kunstwerk.
> Nicht nur am Rande sei hier erwähnt, dass der Übermensch eben auch Gefahr
> läuft sich einzubilden, über die aus seiner Sicht Zurückgebliebenen zu
> richten. Wo der Übermensch herrscht müssen die Untermenschen leiden.
>
> Selbstvervollkommnung trägt immer auch die Gefahr der Egozentrik und des
> Größenwahns in sich. Durch das über sich Hinauswachsen entfremdet der Mensch
> sich dann von sich selbst. Man merkt, hier schwingt im Hintergrund schon die
> Idee von der Raupe, die noch zum Schmetterling werden muss. Getrieben wird
> diese nur heute wohl weniger vom naturgegebenen Programm als von den
> Anforderungen der Leistungs-, manche würden sagen kapitalistischen
> Gesellschaft.
>
> Angesichts der ökologischen Lage kann der Übermensch heute nur noch
> bescheiden von seinem Gipfel aus hinab blicken. Zu lange hat er vergessen,
> auf welchem Grund und Boden er da eigentlich steht. Nun müssen Aufstreben
> und Genügsamkeit neu ausbalanciert werden.
>
> Es gibt also viel zu tun, um die Chancen, Gefahren und Absurditäten des
> Projekts "Übermensch" zu erläutern. In einem neuen Telepolis-Blog Übermensch
> (3) wird davon zukünftig die Rede sein.
>
> Links
>
> (1) http://www.heise.de/tp/r4/artikel/26/26128/1.html
> (2) http://www.heise.de/tp/r4/artikel/22/22656/1.html
> (3) http://www.heise.de/tp/blogs/3/
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